PAWEL STEP - Gefängnisseelsorger aus innerer Berufung

12/06/2025
Pawel Step vor den Stacheldrahtzäunen und Mauern der JVA Stuttgart-Stammheim, 21.02.2025. Bild: Sergej Perelman
Pawel Step vor den Stacheldrahtzäunen und Mauern der JVA Stuttgart-Stammheim, 21.02.2025. Bild: Sergej Perelman

Am 21.02.2025 bekam ich die einzigartige Möglichkeit, Pawel Step, einen evangelischen Gefängnisseelsorger, an seinem Arbeitsplatz, der Justizvollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim, zu besuchen und zu interviewen. Es war ein beeindruckendes Gespräch, in dem Herr Step auf Persönliches, den Alltag im Gefängnis und vor allem auf Gott, den wahren Grund und eigentlichen Halt für sein Wirken als Seelsorger, zu sprechen kam.

Rundgang durch die JVA Stammheim

Vor dem Interview nimmt Pawel Step mich mit auf einen Rundgang durch die gesamte Justizvollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim. Der sehr freundliche und offene Gefängsnisseelsorger bietet mir spannende Einblicke nicht nur beim Gang über den Hof, sondern auch in das Innenleben der JVA. Da ist zunächst die Pforte. Ein Schwätzchen mit einem Justizvollzugsbeamten. Man scherzt. Herr Step ergänzt mir gegenüber, dass die JVA auf die Dauer durchaus ein Energiesauger sei, während man sich auf dem Gelände befinde. Und weiter geht's zu den Schließfächern kurz nach der Pforte.

Aus seinem Spint nimmt er einen unhandlichen, riesigen Schlüsselbund, an dem Mammut-Schlüssel hängen, und ein Walky-Talkie heraus, das permanent seine Position ortet und seine Laufwege aufzeichnet, um im Notfall den Beamten der JVA ein schnelles Eingreifen zu ermöglichen. Wir machen Halt in seinem Büro: geräumig, hell und einladend, vor allem im Kontrast zu den übrigen Räumen im Gefängnis.

In seinem Büro unterhält er eine kleine theologische Bibliothek, inklusive von Büchern, die er an die Insaßen verleiht – "Der Bibelraucher" sticht in der Sammlung heraus –, und erledigt einen Teil seines Tagesgeschäfts, wozu beispielsweise der Empfang von Häftlingen zu seelsorgerischen Gesprächen gehört. Auf seinem Schreibtisch stapeln sich die schriftlichen Anfragen der Insaßen: ein Treffen wird erwünscht, jemand anders hätte gerne ein Altes Testament auf Georgisch, andere tragen weitere persönliche Anliegen vor.

Sehr augenfällig ist die Tatsache, dass Pawel Step keine Rolle zu spielen scheint. Er lebt seinen Beruf, wie wenn es wirklich seine Berufung sei. So wirkt es auf mich: ganz viel Authentizität, Wahrhaftigkeit und tiefes Gottvertrauen. Er lebt das, was er ist. Da ist keine Verstellung. Einerseits tut das offensichtlich seinen Kolleginnen und Kollegen, den Justizvillzugsbeamten, gut; was man schon beim Gang durch die versperrten, vergitterten und meistens etwas dunklen Gänge und Räume mit ihm zusammen daran merkt, dass er immer ein Lächeln und eine freundliche, warme Begrüßung für die Kollegen übrig hat, welche diese freundschaftlichen Gesten gerne in ähnlicher Form erwidern.

Andererseits begegnet er auch den Häftlingen in seiner wahrhaftigen, treuherzigen und gütigen Art. Es ist wirklich so, wie wenn ein Sonnenstrahl sich durch die verschatteten Räume einen Weg bahnt. Es gibt zwei größere Räume, wo Gottesdienste gefeiert werden. Sie wirken wie Oasen, wie Fenster in eine andere Welt. Dort wird in der Bibel gelesen, musiziert, gesungen, miteinander geredet und gebetet. Im evangelischen Gottesdienst-Raum gibt es ein verstecktes, gemütliches Zimmerchen für ein Käffchen, etwas Süßes und ein wohltuendes Gespräch, wenn einem Insaßen etwas auf der Seele brennt. Nicht zuletzt ist die multilinguale Bibelsammlung sehr auffällig; in allen möglichen Sprachen ist die kleinformatige Bibel hier vorrätig.

SERGEJ PERELMAN: Wie sind Sie zur Gefängnisseelsorge gekommen?

PAWEL STEP: Ich habe schon immer so einen Hang zu Menschen, die sich außerhalb der Gesellschaft befinden, die Ausgestoßene sind. Das waren Drogenabhängige, Alkoholabhängige, Menschen, die auf der Straße lebten, und auch Leute, die kriminell waren. Vorher habe ich elf Jahre lang Jugendarbeit in der Evangelischen Kirche gemacht. Irgendwann bin ich dann auf die Stellenausschreibung als Diakon in der Justizvollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim gestoßen. Und da habe ich gedacht: "Das wäre doch was!?". Bin tatsächlich hin und habe mit dem Pfarrer dort einen Tag im Gefängnis verbracht, den Alltag dort erlebt und bin einen Tag lang mitgelaufen.

Doch nach der Hospitation habe ich etwas Furcht gespürt und Bedenken gehabt, ob ich es schaffe, weil ich so ein freiheitsliebender Mensch bin und ich dachte, wenn ich jetzt acht Stunden eingesperrt bin und keinen Kontakt zur Außenwelt habe, außer übers Telefon und E-Mail und in einer "anderen Welt" unterwegs bin, dann fühle ich mich gefangen und das kann dann meine Arbeit sehr beeinträchtigen; mich selber natürlich auch total lähmen.

Der zweite Grund für meine Zweifel war, dass ich mich nie als Seelsorger gesehen habe; als Prediger: ja, als Evangelist: ja, als Organisator für irgendwelche Events: ja, aber Seelsorger? – Das war für mich irgendwie so psychologische Arbeit: Man setzt sich hin, zündet eine Kerze an, faltet die Hände und sagt: "Ja, und was macht das alles mit Ihnen? Usw." Und da dachte ich bei mir: "Nein, so bin ich nicht! Ich möchte mit anderen Menschen zusammen etwas erleben, aber sich so um die Seele der Menschen zu kümmern, schien mir fremd." "Ich schaffe das nicht!", war meine Schlussfolgerung zu dem Zeitpunkt.

Und der dritte Grund, der mich an meiner Eignung für die Arbeit als Seelsorger zweifeln ließ, war meine große Sorge davor, dass die Dinge, die mir die Häftlinge anvertrauen: Erlebnisse, Straftaten, mich zu sehr persönlich "mitnehmen", dass ich sie als Seelsorger nachher nicht ablegen kann und mit nachhause nehme, sie mich belasten, meine Familie belasten. Und deswegen habe ich mich nach der Hospitation nicht auf die Stelle beworben, ich habe gedacht: "Ich schaffe es nicht."

Dann habe ich weiterhin drei Jahre lang Jugendarbeit gemacht und mich gleichzeitig nach anderen Stellenausschreibungen umgeschaut und Bewerbungsgespräche gehabt. Aber ich hatte einfach keinen Erfolg bei den Bewerbungen; 4, 5 mal bekam ich nach anfänglichem Interesse seitens des Arbeitgebers an meiner Qualifikation doch noch, wie aus heiterem Himmel, eine Absage. Da habe ich schon gedacht: "Es kann doch nicht sein, dass ich so inkompetent bin!" Drei Jahre später wurde dieselbe Diakon-Stelle im Gefängnis, die ich zuerst abgelehnt habe, wieder ausgeschrieben.

Und mein Herz hat wieder einen Sprung gemacht: "Das wäre doch was! Diese Menschen brauchen wirklich Hilfe und die suchen Gott. Das ist oftmals viel dringender und ernster als in der Gemeinde." Und dann habe ich gebetet: "Herr, wenn Du mir Antworten gibst auf die Gründe für meine Zweifel an meiner Eignung und mich erlöst von ihrer Last, dann würde ich das gerne machen. Mach die Türen bitte weit auf und zeig mir, dass es dran ist." Ich beschloss, mich zu bewerben. Rufe dort an und sage: "Ich möchte mich bewerben." Dann sagt mir der Verantwortliche auf der anderen Seite: "Ja, die Bewerbungsfrist ist schon vorbei." Ich dachte: "Okay, dann hat sich das ja erledigt. Danke. Jetzt weiß ich, dass es nicht mein Platz ist."

Und dann sagt der Verantwortliche im nächsten Satz: "Ja, aber es hat sich keiner beworben. Deswegen müssen wir sie noch mal ausschreiben. Da können Sie sich bewerben. Im Herbst dann." "Okay?! Ist das etwa so ein Zeichen oder was?", dachte ich wieder bei mir. Ich habe mich beworben und tatsächlich ist alles perfekt gelaufen. So ein Gespräch hatte ich noch nie. Das Vorstellungsgespräch ist mega gewesen. Es fühlte sich an, wie wenn ich dorthin als zu meiner Bestimmung geführt worden wäre. Im Gespräch ist alles glatt gelaufen und hat einfach gepasst.

Und dann war nur noch die letzte Frage für mich zu klären: "Ja, aber bin ich jetzt der einzige Bewerber? Nehmen sie mich deswegen, weil sie sonst niemanden gefunden haben?" Ich habe den Verantwortlichen gefragt: "Wie sieht es aus? Bin ich der Einzige, der sich beworben hat?" "Herr Step, ich kann Ihnen nicht sagen, wie viele es waren, aber ich kann Ihnen sagen, dass Sie nicht der Einzige sind und dass Sie der Mann sind, für den wir uns bewusst entschieden haben." Und dann habe ich gesagt: "Okay, dann probieren wir es aus."

Und tatsächlich: Als ich mit der Arbeit angefangen habe, vom ersten Tag an habe ich mich frei gefühlt wie sonst keiner. So frei habe ich mich noch nie gefühlt. Auch draußen nicht in der Jugendarbeit, weil ich hier im Gefängnis Möglichkeiten habe, die ich draußen nicht hatte: Menschen zu besuchen zu jeder Zeit. Die sind immer da. Ich habe die Freiheit, meinen Tag so zu gestalten, wie das für den Dienst nötig ist. Wenn eine Person eine Stunde Gespräch braucht, dann nehme ich mir die Stunde. Wenn es in einer halben Stunde vorbei ist, auch gut. Ich begleite die Menschen mehr oder weniger alleine. Klar, haben wir Team. Klar, spreche ich mich ab, aber es sind immer Einzelgespräche. So viel zum Thema Freiheit.

Dann habe ich tatsächlich gemerkt, dass die Jungs [die Gefangenen, Anm. d. Verf.] für die Seele was mitnehmen. Ich musste mich überhaupt nicht einfinden, nicht einfühlen, weil wir gleich auf derselben Wellenlänge waren. Ich erkläre mir das mit meiner eigenen Vergangenheit, meinem Werdegang. Das Schicksal der Gefangenen ähnelt dem meiningen in vielen Punkten: Migrationshintergrund, sozial schwaches Umfeld, Deutsch muss gelernt werden usw.; die schulischen Perspektiven: Hauptschule, Realschule. Das alles kennen sie und ich kannte das ja auch.

Meine Kumpels von früher sind damals auch schon losgezogen, haben Felgen abgebaut und so. [Herr Step muss an dieser Stelle lachen. Anm. d. Verf.] Ich habe gemerkt, als wir gebetet haben, dass die Gefangenen gesagt haben: "Wow, vielen Dank Herr Step, das hat so krass geholfen!" Oder: Wenn ich von Gott oder von meinem Werdegang erzählt habe: Wie ich zum Glauben kam, was das mit mir gemacht hat. Auch das hat ihnen so krass geholfen, was ich nie für möglich gehalten habe.

Somit habe ich Antworten bekommen auf meine Zweifel. Erstens: sich gefangen fühlen. Das ging. Ich war frei. Zweitens: Ich habe mich auf einmal doch als Seelsorger gesehen, weil meine Präsenz und das Gebet den Menschen tatsächlich geholfen haben. Sie haben sich seelisch erleichtert gefühlt und wieder etwas Hoffnung geschöpft. Und das Dritte, was mir zuvor noch als ein Hinderungsgrund erschien: Was ist mit den Geschichten der Häftlinge? Was ist mit den Problemen? Nehme ich sie mit? Belaste ich meine Familie? Kann ich sie ablegen?

Und das habe ich natürlich im Gebet geklärt, indem ich mich an Gott gewandt habe: "Ja, ich möchte tatsächlich ein Mittler sein. Du arbeitest mit der Person und ich bin der, der dabei ist. Aber ich kann nichts lösen. Du musst das lösen." Und so war meine Einstellung von Anfang an: Ich spreche mit der Person, aber ich kann ihre Last, ihre Probleme, ihre Sorgen nicht tragen. Das kann nur Gott. So stellte ich mich also im Inneren ein: Es bleibt nicht bei mir, sondern geht zu Gott über.

Alles, was erzählt wird, geht zu Gott und Gott klärt das. Das hat mir geholfen. Damit kann ich bis jetzt gut leben. Klar, manche Dinge gehen einem schon ein bisschen nah, aber nicht so, dass sie mich dann total fertigmachen und lähmen. Ich kann die Dinge gut bei Gott abgeben, weshalb sie nicht zu einer Belastung für mich selbst und für meine Familie werden. Und dafür bin ich mega dankbar. Das hätte ich selber nicht machen können. Das ist schon ein Geschenk von oben.

 Alles, was erzählt wird, geht zu Gott und Gott klärt das. Das hat mir geholfen. Damit kann ich bis jetzt gut leben. Klar, manche Dinge gehen einem schon ein bisschen nah, aber nicht so, dass sie mich dann total fertigmachen und lähmen. Ich kann die Dinge gut bei Gott abgeben, weshalb sie nicht zu einer Belastung für mich selbst und für meine Familie werden. Und dafür bin ich mega dankbar. Das hätte ich selber nicht machen können. Das ist schon ein Geschenk von oben.


SERGEJ PERELMAN: Woher kommen Ihre Motivation, Kraft und Ihr Mut?

PAWEL STEP: Also ich fange mal mit dem Mut an. Normalerweise denkt man: Wenn man sich im Gefängnis aufhält, dann muss man aufpassen, weil hinter jeder Ecke ein Verbrecher lauern könnte, der über dich herfällt und du deshalb ganz vorsichtig sein musst, sonst wird es gefährlich. Das ist aber überhaupt nicht so! Ich habe mich noch nie so sicher wie im Knast gefühlt! Weil du, erstens, überall Beamte um dich rum hast. Zweitens, ich habe gedacht, das sind dort immer so 2-Meter-Schränke, die 2 Meter breit sind und Bizeps haben wie meine Oberschenkel. Aber das ist nicht der Fall. Ich bin einer der breiteren dort und bin ja früher auch in einer Bundeswehr-Spezialeinheit gewesen.

Die Jungs im Gefängnis passen auch ganz arg auf. Ich habe dort als Seelsorger einen Stand, dass die, welche mich schon kennen, meinen, sie müssten mich beschützen. Das heißt, ich komme in den Gang, da kommt ein Neuer, der mich nicht kennt und sagt: "Hey, wer bist du!?" Und dann kommt schon ein anderer: "Pass auf! Das ist unser Pfarrer!" Und dann ist schon alles geregelt. "Entschuldigung!", hört man dann noch vom Neuen. Also dafür brauche ich überhaupt keinen Mut in dem Sinne, sondern werde von Inhaftierten, die mich schon kennen und mögen, beschützt.

Meine Motivation hängt mit meinem Glauben zusammen. In der Sowjetunion [Pawel kommt aus Kirgistan, Anm. d. Verfassers] war der Glaube an Gott verboten und gesellschaftlich geächtet. Meine Mama hat mich mal ganz im Verborgenen, niemand sollte es sehen, in die Kirche mitgenommen. Nachdem wir nach Hause gekommen waren, gab es erst Ärger vom Papa, weil er nichts davon hielt. Am darauf folgenden Montag, als ich in der Schule war – 3. oder 4. Klasse wahrscheinlich und ich war Klassensprecher –, hat mich die Lehrerin herauszitiert und gesagt: "Warst du gestern in der Kirche?" Ich antwortete: "Ja." Ich weiß immer noch nicht, wie sie davon erfahren hat, weil es doch geheimgehalten wurde.

"Hast du auch gebetet?", fragte die Lehrerin weiter. "Nein", erwiderte ich. "Okay, wenigstens das nicht. Du musst aufpassen! Du bist Klassensprecher, das und jenes. Du wirst Probleme haben. Keine Ausbildung, kein Studium, nichts. Gott gibt es nicht. Die waschen dir das Gehirn. Blödsinn. Bla, bla, bla, bla", redete die Lehrerin mir ins Gewissen. Daraufhin dachte ich bei mir: "Oh nein, das ist etwas Schlechtes. Darf man nicht." Obwohl ich von Mama mitbekommen habe, dass der Glaube an Gott eigentlich etwas Gutes ist. Sie hat manchmal vor dem Essen oder Schlafengehen mit uns gebetet, wiederum im Verborgenen, weil mein Vater nichts mitkriegen sollte. Meine Mutter hat es auf ähnliche Weise bei sich zu Hause erfahren und gab es an uns weiter.

Später sind wir nach Deutschland gekommen und ich habe mich verloren gefühlt. Ich war leer. Ohne Gott war irgendwie ein Loch im Herzen. Und ich habe versucht, es mit Musik zu stopfen. Ich war bekannt. Wir haben in der Ludwigsburger Szene ein Nachwuchsfestival gewonnen. Ich hatte Anerkennung, vieles erreicht, aber innerlich trotzdem leer. Anschließend war ich im Kickboxen und in anderen Kampfsportarten aktiv, habe jahrelang Fitness gemacht. Auch damit versuchte ich, die Leere zu füllen. Aber es gelang mir nicht. Danach habe ich eine Ausbildung angefangen, hingeschmissen; Schule, also erst die Hauptschule gemacht, dann auf die Realschule, dann hingeschmissen; bisschen gejobbt und hatte keine Perspektive. "Was mache ich nur gegen die Leere?"

Und gleichzeitig habe ich das Scheitern meine Freunde beobachtet: Einer hat Probleme mit Drogen gehabt, der andere ist kriminell geworden und kam auch in Schwierigkeiten. Doch das war nie ein Weg für mich. Jedoch habe ich das alles in meinem Umfeld mitbekommen. Oder wenn wir in der Hauptschule Schlägereien hatten: Türken gegen Russen. Dort hast du das alles hautnah erlebt, was da alles passiert; wie schnell etwas dabei kaputt gehen kann und jemand schnell mal im Krankenhaus landet. Wir haben in der achten Klasse eine Gasknarre auf dem Schulhof in der großen Pause verkauft. Das heißt: Da war schon so eine Gefahr, ich könnte abrutschen, denn ich war mittendrin und habe gesehen, wie die anderen abrutschten.

Und dann "hat Gott mir ein Herz geschenkt". Als ich irgendwann zum Glauben kam und Erfüllung fand, war ich imstande, Menschen, die keine Perspektive haben, die abrutschen könnten und die Schwierigkeiten haben, zu sagen: "Hey, ich hatte auch die Angst und ich habe das auch erlebt. Aber als ich dann zu Gott fand, hat sich etwas verändert." So bekam ich meine Motivation, Menschen zu helfen, Menschen Wege zu zeigen, zu sagen: "Es gibt eine Hoffnung, es ist nicht alles verloren, es gibt einen Ausweg. Bei Gott ist es möglich, unabhängig von den äußeren Umständen innerlich anzukommen und zu spüren: "Okay, jetzt passt es." Wenn das geschehen ist, können wir die äußeren Umstände gestalten.

 Und dann "hat Gott mir ein Herz geschenkt". Als ich irgendwann zum Glauben kam und Erfüllung fand, war ich imstande, Menschen, die keine Perspektive haben, die abrutschen könnten und die Schwierigkeiten haben, zu sagen: "Hey, ich hatte auch die Angst und ich habe das auch erlebt. Aber als ich dann zu Gott fand, hat sich etwas verändert." So bekam ich meine Motivation, Menschen zu helfen, Menschen Wege zu zeigen, zu sagen: "Es gibt eine Hoffnung, es ist nicht alles verloren, es gibt einen Ausweg. Bei Gott ist es möglich, unabhängig von den äußeren Umständen innerlich anzukommen und zu spüren: "Okay, jetzt passt es." Wenn das geschehen ist, können wir die äußeren Umstände gestalten.


SERGEJ PERELMAN: Wie sind Sie für die Gefangenen da?

PAWEL STEP: Also ich bin 39 Stunden die Woche im Knast. Ich habe ein Büro dort und ich bekomme ständig Anträge von den Gefangenen. Sie wünschen sich entweder ein Gespräch oder eine Kleinigkeit, die ihnen den Alltag ein wenig leichter, schöner macht, z. B. eine Bibel oder einen Stift oder eine Schokolade, solche Sachen eben. Anschließend gehe ich entweder in die Zelle, besuche den Gefangenen dort, bespreche mit ihm alles in der Zelle, oder ich nehme den Gefangenen mit in den Kirchenraum und setze mich dort mit ihm zusammen. Wir haben im Kirchenraum zwei Sessel, wo man auch in Ruhe einen Kaffee trinken kann. Außerdem gibt es noch ein Besprechungszimmer im Flur, das man auch nutzen kann. Das ist eines meiner Arbeitsfelder.

Zusätzlich leite ich zwei Gruppen und könnte natürlich noch mehr machen. Aber mit zwei bin ich gut versorgt. Die eine ist eine aktive Gruppe für Jugendliche, die immer mittwochs stattfindet. Da betreue ich verschiedene Aktivitäten, meistens Fußball, wenn die Jugendlichen Lust darauf haben. Ansonsten gibt es auch mal irgendwelche Brett- oder Kartenspiele oder ein lockeres Zusammensein.

Die zweite Gruppe ist eine Bibelgruppe. Die kann ich nur für eine bestimmte Anzahl von Gefangenen anbieten. Deshalb müssen sie sich dafür anmelden. Beim Bibelkreis sind wir anderthalb Stunden zusammen. Es gibt Kaffee, ich bringe Brezeln mit. Wir lesen gemeinsam Abschnitte aus der Bibel, tauschen uns darüber aus. Außerdem geht es natürlich auch um die Befindlichkeit der einzelnen Teilnehmer.

Und das Dritte sind die Gottesdienste. Diese teilen wir uns im Kollegium auf. Ich leite alle drei Wochen einen Gottesdienst. So kann in jedem Haus des Gefängnisses ein Gottesdienst pro Woche stattfinden. Das sind so die Hauptschwerpunkte meiner Arbeit mit den Gefangenen. Zudem werden wir als Gefängnisseelsorger auch mal außerhalb des Gefängnisses eingeladen; in der Schule war ich öfters im Religionsunterricht, um von der Gefängnisarbeit zu berichten; im Gottesdienst von Gemeinden oder in einem Frauenkreis war ich auch schon. Der Zweck solcher Außenpräsenz sei, dass wir nach außen auch so ein bisschen die Mauern durchlässig machen, sagt mein Kollege. Auf diese Art und Weise bin ich für die Gefangenen da.


SERGEJ PERELMAN: Können auch Sie von den Häftlingen etwas "bekommen"?

PAWEL STEP: Also, das ist tatsächlich so, dass ich der Beschenkte bin nach den Gesprächen. Weil auf einmal Dinge, die für mich selbstverständlich sind, für mich wieder wichtig werden. Wenn ich im Gespräch bin und der Gefangene erzählt, wie stark er seine Familie vermisst, wie das war, als er sie hatte und wie anders der Alltag damals war, dann merke ich, wie dankbar ich eigentlich sein muss, dass ich meine Familie jeden Tag sehe.

Oder auch andere Dinge, die einem wichtig werden, wenn man sie nicht mehr hat; Kleinigkeiten, wie die Tür selber aufmachen können, jederzeit telefonieren oder eine Nachricht schicken können, jederzeit auch mal mit der Familie einen Kaffee trinken gehen können und Ähnliches. Also, dass mir Dinge wichtig werden, die selbstverständlich sind. Das ist das Eine.

Das Zweite, was mich total begeistert, ist auch, wie Gott für mich und die Gefangenen da ist, mich leitet, wie seine Präsenz spürbar wird. Sprich, ich bin in einem Gespräch und ich bin überrascht von dem, was mir für Gedanken, Antworten, Vorschläge, Möglichkeiten als Ratschläge kommen, wofür ich selber total dankbar bin. Ich merke, Gott hat mich geleitet, seine Präsenz, was mich staunen lässt und wofür ich sehr dankbar bin.

Und das Dritte ist die Dankbarkeit. Das heißt: Ich kriege so viel Dankbarkeit von den Gefangenen zurück, wie ich draußen in der Kirchengemeinde und anderswo nicht erlebt habe, weil hier die Menschen tatsächlich in einer großen Not sind. Und da kommt jemand, der nimmt sich Zeit, der ist auf ihrer Seite, der behält alles, was gesprochen wird für sich und ist da sogar gesetzlich geschützt, dass er nicht einmal vor dem Richter aussagen muss aufgrund des Seelsorgegeheimnisses. So können die Gefangenen Vertrauen schöpfen, sie können aufatmen und sind unglaublich dankbar dafür.

Egal wo ich hinkomme, heißt es: "Oh, Herr Step kommt! Super toll, bester Mann!" Diese Dankbarkeit gibt einem das Gefühl, es ist wichtig, was ich da tue. Es verändert die Menschen, ihre Haltung und es erleichtert ihnen ein bisschen den Alltag – beim Gespräch, beim Gebet merke ich das ganz oft. Wenn wir gesprochen haben und ich frage: "Darf ich für Sie beten?" Und es ist egal, ob das ein Moslem, ein Christ oder sonst jemand ist. Nur einmal hat bis jetzt jemand gesagt: "Nein, danke." Aber sonst: "Ja, natürlich!"

Dann bete ich für die Person, rede mit Gott über ihre Lage und Anliegen und ganz oft nach dem Gebet, wenn ich Amen gesagt habe, sitzt der Gefangene da und man hört deutlich: "Oh, das hat jetzt so geholfen! Vielen Dank!" Als ob da innerlich eine Last verschwinden würde. Und dabei denke ich: "Okay, da tut sich etwas. Die Person nimmt etwas wahr. Eine Erleichterung kommt, die nur Gott schenken kann. Und ich kann dabei sein, wenn Gott selber wirkt."


SERGEJ PERELMAN: Welches besondere Erlebnis möchten Sie mit uns teilen?

PAWEL STEP: Ja, also, es gibt viele richtig schöne und wichtige Erlebnisse. Gott hat durch meine Mittlerrolle bewirkt, dass ein Mann, der vorher ein kriminelles Leben geführt hat, mehrere Einbrüche und das seit Jahren, sein ganzes Leben war praktisch darauf ausgerichtet, durch die Begegnungen, die wir im Gefängnis hatten, sein Leben im positiven Sinne komplett auf den Kopf gestellt hat. Er ist nach Hause gekommen und hat ein vernünftiges Leben ohne Kriminalität angefangen.

Er hatte es viel schwerer als vorher, weil er ja seine Brötchen ganz hart verdienen musste und das war er gar nicht gewohnt. Früher war das eine kurze Angelegenheit: zack und man hatte 5.000 €. Doch jetzt auf einmal, weil er angefangen hat mit Gott zu leben, weil ihm klar geworden ist, dass das frühere Leben nicht richtig war, und er vor Gott und den Menschen gut dastehen wollte und nicht mehr schuldig sein wollte, bekam sein ganzes Leben eine ganz andere Wendung.

Es ging sogar so weit, dass seine Frau auch zum Glauben an Gott gefunden hat und deswegen ein ganz anderes Leben begonnen hat mit ihrem Freund zusammen, die seitdem ein normales bürgerliches Leben geführt haben und dankbar dafür gewesen sind, obwohl sie materiell gesehen viel weniger hatten, auch weniger Ansehen und so etwas eben. Doch sie waren es trotzdem, weil sie sich für ein Leben mit Gott entschieden haben. Und das ist für mich wie ein Wunder: Da kommt ein Krimineller als ein hilfsbereiter und guter Bürger aus dem Knast heraus. Das ist schon ziemlich krass! Dieser Fall ist übrigens kein Einzelfall.



SERGEJ PERELMAN: Was bedeutet für Sie das Jesus-Wort "Richtet nicht!"?

PAWEL STEP: Ich möchte ein wenig ausholen, um Ihre Frage zu beantworten. Ich habe im Studium ein Praktikum gemacht bei der 'Gefährdeten Hilfe'. Das waren Alkohol- und Drogenabhängige, die die Möglichkeit hatten, über den Paragraphen 35§ Therapie, statt Knast zu bekommen. So sind sie in eine WG gekommen, eine Familie hat sie aufgenommen. Da waren also ein paar junge Männer, die über den Paragraphen 35§ eine Eingliederungshilfe bekamen.

Morgens haben sie zusammen gefrühstückt, dann sind sie arbeiten gegangen in einem Zweckbetrieb für einfache Arbeiten. Abends gab es Abendessen, danach sind sie manchmal zum Gottesdienst und es gab noch andere Angebote. Und so hat man versucht, ein Leben mit den Gefährdeten (deswegen 'Gefährdeten Hilfe', Drogen- und Alkoholgefährdete) zu gestalten; tägliche Abläufe einzustudieren und ihnen Hilfsangebote zu machen, damit sie ihre Sucht überwinden können.

Als ich damals mit dem Leiter dort gesprochen habe, hat er zu mir gesagt: "Pawel, wir sind alle gefährdet! Die Frage ist nur: Wie äußert sich die Gefährdung eines Menschen? Der eine säuft, der andere nimmt Drogen, ein anderer wird spielsüchtig; jemand anders ist jähzornig und prügelt; ein anderer wiederum wird zum notorischen Lügner. Was er sagen wollte, ist, dass jeder Mensch gefährdet ist und dass es verschiedene Lösungsstrategien gibt, wie ein jeder Mensch seine Gefährdung auslebt. Manche Formen haben ganz krasse und sichtbare gesellschaftliche Auswirkungen und manche wirken nur im Verborgenen. Aber gefährdet sind wir alle. So, das ist die Grundlage.

Die Bibel sagt mir das Gleiche. Da heißt es in der Bibel: "Wem viel vergeben wurde, der liebt viel." Das heißt: Ich kenne mein Leben, ich weiß, was ich Menschen angetan habe. Dafür kommt man vielleicht nicht in den Knast, teilweise vielleicht schon, aber mir wurde so viel vergeben, so viel Bosheit, die ich im Herzen hatte. Da war so viel Liebe, die ich von Gott bekommen habe. Und ich weiß, dass jeder dazu in der Lage ist, ein Gesetzesbrecher zu werden; ein Moment der Schwäche, falsche Leute, Ungeduld, tragische Umstände, unkontrillierte Wut – man schlägt jemanden oder noch schlimmer...

Jeder ist gefährdet, unter bestimmten Umständen auszurasten und jemandem so weh zu tun, dass man dafür in den Knast wandert. Und weil das der Fall ist, richte ich nicht! Weil ich weiß: Ich könnte genauso an seiner statt dort sein, wenn das Leben anders verlaufen wäre, wenn ich anders reagiert hätte in einer bestimmten Situation. Und deswegen: Wer bin ich schon, dass ich über jemanden richten kann, der ich doch gleichzeitig weiß, was ich selber imstande bin, Böses zu tun? Und dann sage ich mir: Wenn Gott mir so vieles vergeben hat, dann kann ich nicht hingehen und jemandem nicht vergeben. Dann ist das Gottessache und somit richte ich nicht.

Ich gehe auch bewusst ins Gespräch, ohne zu wissen, was für eine Tat jemand verübt hat. Ich gehe rein ins Gespräch mit: "Guten Morgen, ich bin der Gefängnisseelsorger. Sie wollten mit mir sprechen." Und dann sitzt man da und der Inhaftierte erzählt mir, was er getan hat oder auch nicht. Dabei ist die Tat für mich erstmal zweitrangig, sondern es geht um die Person. Wie kam es dazu? Was sind die Hintergründe und tieferliegenden Ursachen?

Manchmal sind es die Gene. Der Betroffene, z. B. ein Sexualverbrecher, merkt: Da war eine Macht in mir, die hat mich dazu getrieben und ich hasse mich selber dafür. Oder es gibt Menschen, die sagen: "Meine Kumpels haben das gemacht, wenn ich nicht mitgemacht hätte, dann hätten sie mich verstoßen. Also musste ich es tun." Also durch den Zwang des Umfelds. Und der andere sagt: "Bei mir zuhause war immer Streit und Schläge und mein Vater hat gesoffen usw. Es war für mich normal, dass man zuschlägt, wenn was ist." Und so kam er dazu.

Ich bin dankbar, dass ich so bin, wie ich bin. Gleichzeitig kenne ich die Abgründe meines Lebens und deshalb kann ich nicht richten, darf ich auch nicht richten, will ich auch nicht richten, weil ich mir sonst ein Recht zusprechen würde, das mir nicht zusteht und das mich durch seine untragbare Last erdrücken würde. Und so weiß ich: Einzig Gott klärt das, denn jeder ist dazu fähig, Dinge zu tun, die für die Menschheit und für die Zukunft der Welt das Schlimmste wären. Es kann folglich jeden treffen. Sei dankbar, dass es bei Dir anders gelaufen ist. Weil Du Glück hattest, weil Du Menschen an Deiner Seite hattest, ein entsprechendes Umfeld, was begünstigt hat, dass Du nicht zu einem Verbrecher wurdest. Das ist das Eine.

Das andere ist: Jedem eine Chance geben, wirklich jedem. Natürlich kann jeder enttäuscht werden. Auch ich werde enttäuscht. Es kommt vor, dass ich denke: "Er hat es jetzt verstanden. Sein Leben wird von nun an anders verlaufen." Doch anschließend erlebe ich, wie er, nachdem er rausgekommen ist, zwei Monate später wegen der gleichen Geschichte wieder ins Gefängnis kommt. Da denkt man: "Gebe ich ihm noch eine Chance oder lügt er mich wieder an und er kriegt es eh nicht auf die Reihe?" Gib jedem eine Chance! Richte nicht! Du könntest er sein, gib deshalb jedem eine Chance. Wenn Du die Hintergründe nicht weißt, wie kannst du da jemanden verurteilen?

Die Bibel sagt: "Gottes Wort kommt nie leer zurück." Niemals. Das heißt: Es hat immer irgendeine Wirkung. Und oft ist es so, dass ich nur die nächsten drei, höchstens fünf Jahre überschaue, Gott aber das ganze Leben sieht und kennt. Deswegen glaube ich ganz fest daran, dass all die Gespräche, die ich mit den Menschen als Seelsorger geführt habe, all die Begegnungen, die ich im Knast hatte, all das, was da miteinander passiert, auf jeden Fall irgendeine Wirkung haben wird; früher oder später; sichtbar oder unsichtbar; aber es passiert mit dem Menschen etwas im positiven Sinn;

zu 100 % würde ich jetzt nicht sagen, jedoch vielleicht zu 80%, 90 % weiß ich, dass es zu einer Veränderung führt durch das, was die Menschen hier bei mir gehört, erlebt haben in Begegnungen mit der Bibel, mit mir, im Gottesdienst und sonst. Jetzt zeigt es sich womöglich noch nicht. Aber vielleicht in 20, 30 Jahren? Wer weiß das schon? Oder die Wirkung ist jetzt nach außen hin nicht sichtbar, aber innerlich mag sich viel verändert haben, was peu à peu Auswirkungen haben wird und er seinen Weg gehen wird. So verstehe ich die Worte, dass Gottes Wort nie leer zurückkommt und dass die Menschen durch unsere Begegnungen auf lange Sicht auf jeden Fall Veränderungen in ihrem Leben erleben werden.


SERGEJ PERELMAN: Wie kann man die Gefängnisseelsorge unterstützen?

PAWEL STEP: Also wir haben ein Privileg hier in Deutschland, weil es in jedem Gefängnis Gefängnisseelsorger gibt, die in Vollzeit oder Teilzeit angestellt sind und den Gefangenen vor Ort helfen können. Das ist natürlich mit vielerlei Aufwand verbunden. Menschen, die selber keine Gefängnisseelsorge betreiben können oder wollen, können uns auch anders unterstützen, z. B. finanziell. Da gibt es die Möglichkeit, an Kirchen zu spenden und dabei gezielt die Gefängnisseelsorge als Zweck anzugeben.

Spenden werden für kleine Zuwendungen an die Gefangenen verwendet: Briefmarken, Stifte, eine Bibel, Brezeln für eine Gruppenarbeit. Ansonsten kann man sich auch ehrenamtlich engagieren, indem man beispielsweise den Gottesdienst mitgestaltet. Oder man kann anbieten, einmal im Monat vorbeizukommen, um bei irgendeiner Tätigkeit zu helfen.


SERGEJ PERELMAN: Kann man sich ehrenamtlich im Gefängnis engagieren?

PAWEL STEP: Ja, es gibt viele Möglichkeiten, sich ehrenamtlich im Gefängnis zu engagieren. Am besten man besucht die Homepage des betreffenden Gefängnisses. Dort gibt es die Möglichkeit, sich bei der zuständigen Stelle zu melden, wenn man ehrenamtlich mitmachen möchte. Meistens existieren bereits ehrenamtliche Gruppen im Gefängnis. Da kommen abends zum Beispiel Menschen, die mit den Insaßen über den Glauben und Jesus sprechen. Es gibt Jesusgruppen in verschiedenen Sprachen, bei uns zum Beispiel Jesusgruppen in Rumänisch und Deutsch. Man kann mit diesen Gruppen Kontakt aufnehmen und bei ihnen mitmachen.

Außerdem gibt es Sportgruppen. Menschen kommen vorbei, um mit den Gefangenen Sport zu treiben. Oder man kann natürlich auch die einzelnen Dienste, wie zum Beispiel uns als kirchlichen Dienst, beispielsweise musikalisch begleiten. Jemand, der sagt: "Ich spiele Klavier und ich komme gerne zum Klavierspielen, um die Gottesdienste musikalisch zu begleiten." Bei uns in der Untersuchungshaft müsste man schauen. Da ist ein Beamter, der dafür zuständig ist, die Koordination der Freizeitaktivitäten mit Ehrenamtlichen zu verwalten. Auf der Homepage stehen die Kontaktdaten.

Ferner gibt es auch einen sogenannten Besuchsdienst. Ich weiß, dass es so etwas in anderen Gefängnissen auf jeden Fall gibt; bei uns sicherlich auch, obwohl wir nur Untersuchungshaft anbieten. Bei dem Dienst geht es darum, Menschen, die keinen Besuch bekommen und sich Besuch wünschen, zu besuchen, um mit ihnen zu reden, sie in irgendeiner Angelegenheit zu unterstützen. Es gibt viele verschiedene Möglichkeiten.



Buchcover von Eugen Drewermanns Band 1 aus der Trilogie "Richtet nicht!", Patmos Verlag
Buchcover von Eugen Drewermanns Band 1 aus der Trilogie "Richtet nicht!", Patmos Verlag

Nachdenklicher Ausklnag

Es war wirklich eine große Freude, ein Geschenk für mich, die Unterhaltung mit Pawel Step führen zu können. Ich werde nie vergessen, wie wir auf dem Rückweg von der Lokalität nahe der Justizvollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim, wohin wir uns für das Interview zurückgezogen haben, wieder zurück zu den Pforten des Gefängnisses liefen und Herr Step aus dem 25. Kapitel des Matthäusevangeliums die Verse 35 und 40 zitiert hat: "[...] ich war im Gefängnis, und ihr seid zu mir gekommen. […] Wahrlich ich sage euch: 'Was immer ihr einem dieser meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan'".

Das Himmelreich offenbart sich als eine sich erfüllende Gegenwart und darf nicht auf den Sankt Nimmerleinstag, auf den wir vergeblich warten, verschoben werden. Nein, da ist jemand, der das Wort Jesu verlebendigt im Hier und Jetzt. Anders kann das Himmelreich niemals kommen, anders können wir Gott niemals sehen, als durch die Menschlichkeit von Menschen. Das ist die eigentliche und wahre Zeitenwende, die in den Worten, die Herr Step zitiert hat und die er vorlebt, sich verkündet. Es ist die Umwertung aller Werte des erbarmungslosen, gottlosen Materialismus, der nur Konkurrenz, Kampf und Tod kennt.

Es geht um die Gemütsverfassung der Armseligkeit, wie sie auch schon in der Bergpredigt artikuliert wird (Mt 5,3), – das Stehen am Rande der Verzweiflung, vor der eigenen Minderwertigkeit, Ausgesetztheit, vor dem Nichts, vor der Gewissheit des Todes, vor dem dunkelsten Dunkel – ein Augenblick, in dem ein Mensch in unendlicher Sehnsucht auf eine ausgestreckte Hand wartet, die ihn bei der Hand nimmt, auf zwei Augen, die ihn nicht verurteilen, sondern in ihm einen Suchenden, einen Sehnenden, einen Träumenden, einen Verzweifelten und Verlorenen entdecken, der Verstehen und Güte braucht, statt Verurteilung und Bestrafung, damit er das Vertrauen spürt und der Liebe begegnet, die ihm schon immer gefehlt haben.

Aus dem Interview und aus dem oben Gesagten können wir schlussfolgern, dass wir das Gerichtswesen und die Justizvollzugsanstalten in ihrer gegenwärtigen Verfasstheit unbedingt in psychosoziale Anstalten umprägen sollten, um, statt zu richten und zu bestrafen, die Verzweifelten, Verlorenen und Gepeinigten aufzurichten, indem sie in einer seelsorgerischen Haltung, wie Herr Step sie beispielsweise zum Ausdruck bringt, Gott "zurückgegeben" werden, um ihr wahres Selbst wiederzufinden, indem die Hintergründe der Betroffenen und ihre seelische Umnachtung durchgearbeitet werden können.

Wir können nicht wahrhaftig Weihnachten, Ostern und Pfingsten feiern, ohne die Verwirklichung der grenzenlosen Menschlichkeit, mit der Jesus - einer Sonne gleich - diese Welt durchwärmt, durchglüht hat, um sie zu erlösen und zu befreien, zu fordern und zu leben.

Das vorliegende Interview ist dem Theologen, Psychoanalytiker und Schriftsteller Dr. Eugen Drewermann gewidmet, weil die Idee und Initiative dazu auf seine Buchserie "Richtet nicht! Christentum und Strafrecht" und die daraus hervorgegangene gleichnamige Vorlesungsreihe zurückzuführen sind. Diese stellen eine umfassende theoretische Grundlage dar für eine gesellschaftliche Aufklärung über christliche Lösungsvorschläge zur Problematik des Strafrechts als Voraussetzung für seine Transformation. Hier die Links dazu: https://shop.verlagsgruppe-patmos.de/richtet-nicht-011214.html, https://youtu.be/wRdC80-u4qg?si=wGDu6azag8kfVgzQ, https://youtu.be/mBoWj42lpqg?si=YcwEA-QBWRebHsEI