ILAN PAPPE: Völkermord in Gaza sei israelischer Exzeptionalismus

12/06/2025
Ilan Pappe, Stuttgart, 24.05.2025 Bild: Sergej Perelman
Ilan Pappe, Stuttgart, 24.05.2025 Bild: Sergej Perelman

Am 24.05.25 hielten Ilan Pappe (israelischer Professor für Geschichte) und Hamdi Shaqura (Vertreter des Palestinian Center for Human Rights (PCHR)) in Stuttgart Vorträge zur aktuellen Situation und historischen Entwicklung in Israel und Gaza. Beide waren sich einig darin, dass Israel einen Völkermord an den Palästinensern begehe. Zudem attestierte Pappe Israel im Umgang mit den Palästinensern Exzeptionalismus.

Die Veranstaltung zu Gaza mit Vorträgen von Hamdi Shaqura und Ilan Pappe in Stuttgart-Degerloch am 24.05.2025 mit mehreren Hundert Besuchern wurde von Palästinakomitee Stuttgart e. V. zusammen mit pax Christi Rottenburg/Stuttgart, evang. Kirchengemeinde Heiningen, Arbeitskreis Palästina Tübingen, verdi Friedenskreis Stuttgart und OTKM Stuttgart organisiert. Hamdi Shaqura eröffnete die Veranstaltung mit einer Rede, in der er, sich auch auf eigene Augenzeugenschaft stützend, begründete, warum es sich in Gaza um einen Völkermord handele. Professor Ilan Pappe ging u.a. den Gründen nach, wie es zur Eskalation der Gewalt in Gaza kam und warum Europa, obwohl es die Macht hätte, dem Völkermord nicht Einhalt gebietet.

Hamdi Shaqura, Stuttgart, 24.05.2025 Bild: Sergej Perelman
Hamdi Shaqura, Stuttgart, 24.05.2025 Bild: Sergej Perelman

Hamdi Shaqura: "Aushungerung als Mittel zur Kriegsführung"

Der selbst aus Gaza stammende Hamdi Shaqura ist Stellvertreter von Raji Sourani beim Palestinian Center for Human Rights (PCHR). Das Palestinian Center for Human Rights wurde im Jahr 1995 in Gaza von einer Gruppe von Menschenrechts-anwälten und Menschenrechtsaktivisten gegründet, um die Praktiken der israelischen Streitkräfte in den 1967 besetzten Gebieten zu beobachten und zu dokumentieren. Das PCHR hat jedoch auch vielfach Menschenrechtsverletzungen aller palästinensischen Behörden aufgegriffen und öffentlich kritisiert. Der PCHR-Leiter Raji Sourani ist Träger des Robert F. Kenndy Human Rights Award und des Alternativen Nobelpreises (Right Livelihood Award).

Hamdi Shaqura habe sein ganzes Leben in Gaza verbracht und verließ den Gazastreifen erst 2 Monate nach den schrecklichen Angriffen des 7. Oktober 2023. "Ich habe in den ersten 2 Monaten die Angriffe selber miterlebt. Und vom 1. Tag an war nicht nur für mich persönlich als Menschenrechtsaktivist, sondern auch für meine Kolleginnen und Kollegen klar, dass es sich um nichts weniger und mehr handelte als um einen Krieg gegen die Zivilbevölkerung: bewusste, gezielte Angriffe auf zivile Infrastruktur, auf Wohngebiete, auf Krankenhäuser", schilderte sehr eindringlich der Menschenrechtsaktivist selbst Erlebtes.

"Und obwohl auch das, was ich in den ersten zwei Monaten noch selbst miterlebt habe, schon eindeutig als Krieg zu bezeichnen war und auch schon sehr intensiv und hart war, ist es im Verhältnis zu dem, was in den folgenden Monaten dann noch kam, eigentlich gar nichts mehr: der Horror, die Schrecken, die sich dann noch verstärkt haben und die Angriffe, die sich noch verstärkt haben. Und was passiert, ist ganz eindeutig ein Genozid, ein Völkermord. Das ist nicht nur die Schlussfolgerung von palästinensischen Menschenrechtsorganisationen vor Ort, die das auch am eigenen Leib unmittelbar erleben, sondern es ist auch die Schlussfolgerung, zu denen internationale Menschenrechtsorganisationen und auch die Vereinten Nationen gekommen sind."

Standbild am Eingang zur Palästina-Veranstaltung, Stuttgart, 24.05.2025. Bild: Sergej Perelman
Standbild am Eingang zur Palästina-Veranstaltung, Stuttgart, 24.05.2025. Bild: Sergej Perelman

"Der internationale Straftatbestand des Genozids ist in der internationalen Konvention zur Verhinderung von Völkermord sehr klar definiert. Es sind Handlungen, die bewusst in der Absicht begangen werden, eine andere nationale, religiöse oder ethnische Gruppe in Teilen oder in ihrer Gänze zu zerstören. Und diese Handlungen werden klar in unterschiedlichen Kategorien in Gaza jetzt verübt. Israel hat quasi keines der Elemente, die diesen internationalen Straftatbestand darstellen, ausgelassen in den Handlungen, die es gegenüber der Zivilbevölkerung im Gazastreifen begeht", konstatierte Shaqura weiter.

"Angehörige der Gruppe werden bewusst umgebracht, so ein Tatbestand des Völkermords. Wir sind bei einer Todesrate von 3% der Bevölkerung des Gazastreifens, die mittlerweile umgekommen sind; mehr als 54.000 Menschen davon in der großen überwiegenden Mehrheit sind Frauen und Kinder. Über 18.000 Kinder sind bisher umgekommen. Können Sie sich das vorstellen? Innerhalb von anderthalb Jahren?" [...] Kinder unter einem Jahr, unter zwei Jahren, unter drei Jahren; grauenvoll; wirklich grauenvoll! [...] 60 % der Todesopfer sind Frauen und Kinder. Und da habe ich noch nicht mal irgendwelche älteren Leute jetzt mit eingerechnet", stellte der Menschenrechtsaktivist erschüttert fest. 

"Zum zweiten Tatbestand der zum Verbrechen des Völkermords in der Definition gehört, ist, dass Mitglieder der Gruppe ernsthafter körperlicher oder seelischer Schaden zugefügt wird. Und hier kann man die Zahl von 7 % der Gesamtbevölkerung des Gazastreifens erwähnen, die in irgendeiner Form derartigen Schaden, also Verletzungen, Verwundungen davongetragen haben. Wenn wir das zusammen addieren mit den 3 % derjenigen, die ermordet worden sind, sind wir schon bei 10 % der Gesamtbevölkerung, die entweder ermordet oder verwundet worden sind. Wenn wir von Verwundungen reden, dann meine ich damit im Wesentlichen schwere Verletzungen, die in vielen Fällen auch Amputationen erforderlich machen", schilderte tief bestürzt Shaqura. 

"Dritte Handlung, die konstituierendes Element der Begehung eines Völkermordes ist, ist die bewusste, absichtliche Schaffung und von Lebensbedingungen, die der Bevölkerung aufgezwungen werden, die es physisch unmöglich machen, in einem Gebiet weiter zu bleiben, dass es letzten Endes zu deren Eliminierung und Zerstörung führt. Ich könnte jetzt Stunden darüber reden, welche Handlungen dazu alles gehören und was darunter alles fallen würde, diese unmenschlichen und unerträglichen Bedingungen zu schaffen", betonte Shaqura und führte als Beispiele die Zerstörung von ziviler Infrastruktur (darunter auch Krankenhäuser), Abschaltung von Strom und Wasser, Zerstörung von Energieträgern, landwitrtschaftlichen Erzeugnissen und Produktion. 

Es gehe um die komplette Zerstörung des gesamten Bildungssystems auf den unterschiedlichen Stufen. Und das sei jetzt im zweiten Jahr schon so fortgeschritten, dass es in Gaza für junge Männer, Frauen, Kinder, Mädchen, weder Schulen noch Universitäten gebe, berichtete fassungslos der palästinensische Menscherechtsaktivist. "Nicht nur die komplette Lebensmittelproduktion wurde zunichte gemacht, sondern eben auch keine Hilfe mehr hereingelassen, keine Lebensmittellieferungen mehr. Seit dem Ende des letzten Waffenstillstands war eine komplette Blockade der Hilfslieferungen für zwölf Wochen auferlegt worden; kein einziges Hilfspaket kam in den Streifen", damit werde Aushungerung als Kriegsmittel eingesetzt, entsetzte sich Shaqura.  

Ilan Pappe: Genozid darf für niemanden erlaubt sein

Professor Ilan Pappe ist einer der bekanntesten "neuen israelischen Historikern", eine Gruppe von Wissenschaftlern, die die Darstellung der Geschichte der Staatsgründung Israels stark veränderten auf der Grundlage der vom israelischen Militär freigegebenen Dokumente in den Archiven. Weitere Historiker, die zu dieser Gruppe gezählt werden, sind unter anderen Idith Zeral, Avi Shlaim, Shlomo Sand oder Tom Segev. Ilan Pappes bekanntestes Werk ist die "Ethnische Säuberung Palästinas" über die Vertreibung der Palästinenser im Zusammenhang mit der israelischen Staatsgründung.

Er studierte an der Hebrew University in Jerusalem und promovierte an der Uni versität in Oxford im Jahr 1984. Im Jahr 1992 begründete er das Friedensfor schungsinistitut von Givat Haviva und leitete es bis zum Jahr 2000. Von 2000 bis 2006 war er Leiter des EmilTumaInsituts für Palestine Studies in Haifa. Außerdem lehrte er von 1984 bis 2006 als Professor an der Historischen und Politischen Fakultät der Universität Haifa. Seit 2007 lehrt Ilan Pappe als Professor für Geschichte an der Universität Exeter, er ist seit 2009 auch Direktor des European Centres for Palestine Studies an der Universität Exeter. Ilan Pappes Buch "Die vergessenen Palästinenser" ist nun auch als deutsche Übersetzung erschienen.

Prof. Pappe eröffnete seinen Vortrag mit einer ganz aktuellen Schreckensmeldung. Heute Nachmittag (Sa, 24.05.2025) um 4:00 Uhr palästinensischer Zeit, 5:00 hiesiger Zeit habe ein Flugzeug das Haus eines Ärztepaares, Hamdi und Anna angegriffen. Die hätten zehn Kinder gehabt, alle unter zwölf. Von diesen seien neun bei dem Angriff ermordet worden. Nur einer, Adam, soll gerettet worden sein. "Und dieser Angriff hat natürlich keinerlei Schlagzeilen hinterlassen", echauffierte sich Pappe. Dann ging er zu seiner wichtigsten Frage über: Warum herrsche darüber dieses große Schweigen in Europa? Und meinte sowohl den zuvor erwähnten tödlichen Angriff auf die Ärztefamilie als auch die von Hamdi Shaqura angedeuteten Zustände in Gaza.

"Europa, das denke ich, das sollten wir unbedingt verstehen, hätte die Mittel und hätte die Macht von heute auf morgen den Genozid zu beenden. Und das wissen auch die Israelis. Nicht die USA, sondern Europa könnte über Sanktionen diesen Völkermord beenden. Europa ist der wichtigste Handelspartner Israels. Also wenn die europäischen Politikerinnen und Politiker das wollten, dann könnten sie tatsächlich dem ein Ende setzen und sie hätten die Mittel und sie hätten die Macht dazu. Die Frage ist, warum Europa das, obwohl es die Macht dazu hätte, wissentlich verweigert", wiederholte Prof. Pappe eindringlich seine Frage.

Es gebe neben manchen anderen zwei besonders herausragende Antworten auf diese Frage, so Pappe weiter. Es sei wichtig, sich damit auseinanderzusetzen, um vielleicht mehr Einfluss auf die europäischen Politiker gewinnen zu können, damit diese dem Genozid einEnde setzen. "Denn eines ist ganz klar: Israel wird nicht morgen damit aufhören. Es wird nicht aufhören im Gazastreifen, es wird nicht damit aufhören in der Westbank. Das hört auch nicht auf im Libanon, denn es gibt ja auch ganz klar die Absicht, sich nach Syrien auszudehnen. Und wenn die Welt und Europa das nicht verstehen und nicht handeln, dann werden wir uns in ein oder zwei Jahren plötzlich der Tatsache gegenüberstehen, dass wir noch eine viel furchtbarere Situation haben als heute."

In seiner ersten Antwort unterstreicht Pappe die außerordentliche Bedeutung einer geschichtlichen Betrachtung des Problems. Um das ungeheuere Ausmaß an Gewalt im Gazastreifen verstehen zu können, "müssen wir uns bewusst werden, dass es sich dabei eigentlich nur um ein Symptom handelt und nicht um die Wurzel des Problems. Und wir müssen, um das besser zu verstehen, zu den Wurzeln des Problems zurückkehren." Und meint damit die Ursprünge des zionistischen Projekts.

Einflussreiche Persönlichkeiten aus der evangelischen, evangelikalen, christlichen Bewegung, aber auch einflussreiche jüdische Intellektuelle und Imperialisten aus Deutschland, aber auch aus Großbritannien hätten, statt sich nach dem Holocaust dem eigenen Rassismus-Problem zu widmen, "gesagt: 'Na gut, wenn wir das hier in Europa nicht lösen können, dann machen wir das doch so, dass wir im Herzen der arabischen Welt einen jüdischen Staat einrichten lassen und auf Kosten Palästinas uns unseres eigenen Rassismus Problems entledigen.' Was natürlich dazu geführt hat, dass man im Herzen der arabischen Welt dann ein eigenes Rassismusproblem geschaffen hat."

Es sei von Anfang an ganz klar gewesen, dass wenn das die Lösung des europäischen Rassismusproblems gegenüber den Juden sein würde, dass das nur mit Gewalt durchzusetzen, umzusetzen und mit Gewalt zu errichten und mit Gewalt zu erhalten sein würde. Auch den Menschen, deren Land dazu ausgewählt wurde, sei klar gewesen, "dass es nur dazu führen konnte, dass sie dann ihrerseits vertrieben werden würden". "Sie haben dann begonnen, sich dagegen zur Wehr zu setzen, weil es ihnen ganz klar war, dass diese Art der Lösung der europäischen Judenfrage, indem die europäischen Länder sich ihrer Juden entledigen, diese dann Europa verlassen müssten, dazu führen mußte, dass die Palästinenser zwangsweise Palästina verlassen müssten."

"Ich möchte dich nicht in Europa. Und du kannst dasselbe tun an dem Ort, wohin ich dich übersiedle", das ist nach Prof. Ilan Pappe die Logik bzw. die Formel nach der das zionistische Projekt vollzogen wurde. Der heutige terminus technicus dafür ist Siedlerkolonialismus. "Und das alles fand in einem Zeitalter statt, wo es nicht die Hochzeit des Siedlerkolonialismus war, nicht im tiefsten Mittelalter, sondern nach dem Zweiten Weltkrieg, als Europa gesagt hat: 'Wir wollen eine neue Welt schaffen, Menschenrechte, Bürgerrechte; wo die Gräueltaten des Zweiten Weltkrieges sich niemals wiederholen werden.' Und nur drei Jahre später wird dieses unglaubliche Verbrechen an den Palästinensern in Palästina verübt."

"Europa und vor allen Dingen Westdeutschland hätten 1948 die Juden, die nach Palästina gegangen waren, eigentlich anflehen sollen, dass sie zurückkehren nach Europa, hätten ihnen versprechen sollen, dass hier ein neues Europa entstehen würde, das den Werten der Gleichheit und der Bekämpfung des Rassismus verpflichtet sein würde. Aber stattdessen wurde die Botschaft von Europa und vor allen Dingen von Westdeutschland insgesamt ausgesandt: 'Wir unterstützen euch bei eurem Projekt des Aufbaus eines jüdischen Staates. Wir wissen sehr wohl, dass im Zuge der Errichtung dieses Staates die Hälfte der einheimischen palästinensischen Bevölkerung vertrieben worden, die Hälfte der Dörfer der Palästinenser zerstört worden ist.'"

"'Dass ethnische Säuberungen stattgefunden haben. Aber wir tolerieren das. Wir erteilen euch einen Freispruch von diesen Verbrechen, weil das uns umgekehrt hier in Europa von der Verantwortung freispricht, uns mit unserem eigenen Rassismus, der hier tief verankert ist in unserer eigenen Kultur, auseinanderzusetzen.'" Diese Unterstützung sei in den 50er, 60er, 70er Jahren nicht nur von den USA, sondern vor allem seitens Europas weitergegangen, finanziell, diplomatisch und moralisch, "wohlwissend, dass die ethnischen Säuberungen weitergingen, dass die Unterdrückung der Palästinenser weiterging" lautete Pappes Analyse.

Im Anschluss stellte Prof. Pappe die Frage, ob angesichts des Genozids in Gaza noch davon ausgegangen werden kann, dass die universellen Menschenrechte und das humanitäre Völkerrecht für alle Menschen gelten. Seine Antwort lautet: Nein. Er wirft vor allem europäischen Politikern Exzeptionalismus im Umgang mit Israel vor. Es komme ihm vor, wie wenn es Staaten gebe, die Völkermord verüben dürften, andere aber nicht. Dies dürfe nicht sein und müsse sofort beendet werden. "Europas einzige historische Rolle ist, dass es die Palästinenser vertritt und sich derer annimmt und sie verteidigt. Nicht mehr und nicht weniger." Außederm sagte Pappe, dass derzeit ein Wandel in Israel von innen unmöglich sei. 82% würden den Genozid befürworten.

"Deutsche Politiker, solange sie noch denken, potenziell als Antisemit beschimpft zu werden, werden sicherlich ihr Verhalten [in der Bewertung Israels, Anm. d. Verf.] nicht ändern, weil es ihrer politischen Karriere schaden würde. Aber auf der anderen Seite, wenn wir es schaffen könnten, das Verständnis bei ihnen zu erzeugen, dass deren Unterstützung für Israel schlecht für ihre Karriere ist, dann haben wir doch vielleicht eine Chance, deren Verhalten zu ändern", appellierte Pappe an die deutsche Politik. Ilan Pappe ist ein Vertreter der Vision eines einheitlichen demokratischen Staates, in dem Juden und Araber friedlich zusammen leben, wie es auch schon vor der Neugründung des Staates Israel 1948 möglich war.

Eugen Drewermann: "Die Bergpredigt als Zeitenwende"

Ergänzend soll an dieser Stelle noch eine unerlässliche Perspektive, um Frieden zu stiften, in aller Kürze und Dichte angedeutet werden. Der Theologe, Psychotherapeut und Autor Dr. Eugen Drewermann hat diese Perspektive in seinem Buch "Nur durch Frieden bewahren wir uns selber. Die Bergpredigt als Zeitenwende" und auch in seiner Rede beim diesjährigen Ostermarsch in Ulm, die unten verlinkt sind, entfaltet und konkretiesiert. Prof. Ilan Pappe hat völlig zurecht und übereinstimmend mit Drewermanns Position angemerkt, dass die Gewaltexzesse in Gaza eine Symptomatik einer versteckten Wurzel seien. Im Sinne Drewermanns müsste man noch ergänzen und vertiefen, dass alles Böse auf Angst und Minderwertigkeitsgefühle zurückzuführen ist.

Der Theologe arbeitet anhand der Bergpredigt (Mt 5,5.9.39.44.45; 26,52) heraus, dass das Böse sich nur durch Angstfreiheit, Verstehen und Güte - gewaltfrei also - überwinden lasse. Ganz im Sinne Mahatma Gandhis: Es gibt keinen Weg zum Frieden. Frieden ist der Weg. Wer nicht mit ihm anfängt, kommt niemals bei ihm an. Denn auf dem Weg von Waffen und Mord verlieren wir uns zwangsläufig als Menschen, schon indem wir dieselben Gefühle und Gedanken in unseren Geist lassen wie unsere vermeintlichen Feinde, und werden am Ende womöglich noch schlimmer, noch grausamer, noch brutaler als sie, wodurch das Böse nur vermehrt, die Leichenberge erhöht, die Erde mit weiterem Blut getränkt werden, niemals aber überwunden werden kann.

Drewermann folgert aus Mt 5,44 ("Liebt eure Feinde."), dass es darum geht, zu begreifen, dass nur wenn ich es schaffe, im anderen trotz allem, was er getan haben mag, hinter der Symptomatik des Bösen eine Königswürde zu sehen, die er von Gott her hat und die er niemals verwirken kann, und dass das Böse, das er tut, der Ausdruck einer tieferliegenden Angst, von Minderwertigkeitsgefühlen, Not, Unglück, Verzweiflung und Verlorenheit ist, indem ich mich also für die eigentlichen Hintergründe für das Böse im anderen interessiere, es möglich wird, Frieden zu stiften. Der Weg der sogenannten Verteidigung mit Waffen und Militär ist eine verhängnisvolle Illusion, die auf Angst und Angstverbreitung gründet und unmgänglich zu Gewalt und Mord führt.

Daraus folgt, dass einzig der Einsatz für und die Praktizierung von Gewaltfreiheit in Kombination mit der Abschaffung des Militärs zu einer friedlichen Welt führen können. Es darf nicht sein, dass Soldaten auf fremden Befehl Frauen und Kinder ermorden! Soldatengehorsam ist ein Verbrechen! Das muss ein für allemal aufhören und zwar noch heute! Schon Albert Einstein meinte, dass solange wir das Militär haben, ein kultureller Fortschritt unmöglich sei, weil jederzeit der Rückfall in die Steinzeit drohe. Genau das erlben wir jetzt in Gaza und anderswo. Noch deutlicher: Menschwerdung beginnt mit der Abschaffung des Militärs. Sprich: Wir brauchen keine Soldaten, sondern Eigensinnige, die es wagen, sich allen Befehlen zu verweigern.

Dafür gibt es auch schon Beispiele in Israel und Palästina, z. B. die Gruppe "Combatants for Peace" oder junge israelische Juden, wie z. B. Sofia Orr, 19 Jahre, die den Kriegsdienst verweigern, denn "durch den Militärdienst würde ich einen Kreislauf des Blutvergießens unterstützen".(3)

(1) https://shop.verlagsgruppe-patmos.de/nur-durch-frieden-bewahren-wir-uns-selber-011428.html, (2) https://www.youtube.com/watch?v=-fh5deSbU98, (3) https://www.amnesty.de/aktuell/israel-kriegsdienstverweigerung-wehrdienst-armee-militaer-interview-sofia-orr