Eugen Drewermann: "Es gibt die Hölle überhaupt gar nicht!"

18/07/2025
EUGEN DREWERMANN, Bildschirmfoto, 12. Online-Vorlesung zum Galater-Brief, 12. Juli 2025. Foto: Sergej Perelman
EUGEN DREWERMANN, Bildschirmfoto, 12. Online-Vorlesung zum Galater-Brief, 12. Juli 2025. Foto: Sergej Perelman

[Paderborn] Höchst einfühlsam, tröstlich, zutiefst ermutigend, befreiend und zugleich aufgeklärt und kritisch räumt der Theologe, Psychoanalytiker und Schriftsteller Dr. Eugen Drewermann in seiner 12. Online-Vorlesung zum Galater-Brief des Paulus vom 12.07.2025 u.a. mit dem christlichen Höllen-Dogma auf: "Es gibt sie überhaupt gar nicht. Was es denn gibt, ist ein Hineinreifen in die Unendlichkeit der Liebe Gottes."

Eugen Drewermann geht in der 12. Online-Vorlesung zum Galater-Brief des Paulus auf den Glauben an Auferstehung und die christliche Ewigkeitsvorstellung anhand seiner aus Psychoanalyse, Existenzphilosophie, Dichtung und Reformtheologie erwachsenen Exegese des Alten und Neuen Testaments ein. Zu Beginn der Vorlesung widerlegt Drewermann den auch unter Theologen, unter Marxisten sowieso, verbreiteten Einwand gegen die Lehre von der Auferstehung, sie würde uns die Energie rauben, Widerstand zu leisten gegen Gewalt und Unrecht in der diesseitigen Welt. Wir würden uns hinweg trösten ins Jenseits und den Mut zum Widerstand nicht gewinnen. Doch genau das Gegenteil sei richtig, so Eugen Drewermann.

"Betonen möchte ich, dass Jesus uns nicht den Glauben an Auferstehung geschenkt hat, sondern selber gelebt hat in diesem Glauben; und dass er einzig vermöge der Zuversicht der Auferstehung und der Ewigkeit des Lebens fähig war, so zu leben, wie er es getan hat, als Richtmaß und Beispiel für uns selber. Sie müssen nur die ersten drei Kapitel im Markusevangelium lesen, und Sie werden finden ein solches Leben mit dem Vertrauen: 'Es kann mir nicht genommen werden. Ich muss wahrhaftig leben. Es kommt nicht darauf an, wie lange ich existiere, sondern wie richtig ich, menschlich, mit Menschen umgehe im Namen Gottes mit all meinen Geschwistern.'"

"Dann sehen Sie, was man Jesus von Anfang an vorwerfen wird. Im Gesetz des Moses gibt es eine heilige Bestimmung: Man darf Aussätzige hier nicht berühren. Sie haben die Pflicht, vor sich selber zu warnen. Sie müssen auf Distanz gehen. Jesus spürt, dass man Aussätzige auf diese Art nicht heilen kann. Sie verdienen, dass man sie hineinnimmt in das Zusammenleben. Also geht er auf einen Aussätzigen zu, umarmt ihn. Riskiert dabei, selber ansteckend zu werden. Es ist ihm egal. Die Liebe ist ihm wichtiger als die scheinbar medizinische Begründung, dass man so etwas nicht tun dürfte. Es ist die Überschreitung eines wichtigen mosaischen Gesetzes! Und was steht da drauf? - 'Abzulehnen!'"

"Jesus trifft jemanden am Sabbat, dessen Hand gelähmt ist. Und er fragt die Pharisäer: 'Darf man heilen?' Am Sabbat zu heilen, ist die Übertretung des heiligsten Gesetzes in Israel in den Tagen Jesu. Darauf steht die Todesstrafe! Und Jesus tut es. Lieber, dass an einem heiligen Tag Gott geheiligt wird durch das Werk seiner Güte, als dass man in festschreibt auf einen Legalismus, der Menschen ständig Unrecht tut und unnötigerweise ihre Qualen verlängert. 'Weil wir ja ein Gesetz haben, weil wir ja Gott heiligen müssen.' Wenn euch ein Esel in den Brunnen fiele am Sabbat, würdet ihr ihn zappeln lassen, ertrinken lassen? Nein, einen Vierbeiner würdet ihr hochholen; einen Menschen - da habt ihr eure Vorschriften."

"Da bringt man jemanden zu Jesus, gelähmt. Und Jesus ahnt: Dieser Mann ist so von Schuldgefühlen bedrückt, dass er nicht mehr wagt, irgendetwas zu tun. Und er redet ihn an, noch ehe ihm zugehört hat: 'Deine Sünden sind bei Gott vergeben. Das spreche ich Dir zu. Und dafür stehe ich gerade.' Sofort bricht es über ihn herein: 'Wer darf Sünden vergeben außer Gott?' Ja, genau das meint Jesus. Er spricht im Namen Gottes die Vergebung aus. Und genauso sollten wir es tun. 'Das ist Gotteslästerung. Darauf steht wieder die Todesstrafe.'"

"Jesus heilt Dämonen. Das heißt: Er treibt Dämonen von Besessenen aus. Wie antwortet man darauf? 'Das kann er nicht, es sei denn mit dem obersten der Teufel selber, mit Baalzebul, treibt er die Dämonen aus!' Er ist selber vom Teufel. Das Markusevangelium ist keine drei Kapitel alt, da steht fest, dass man Jesus anzeigen und umbringen muss. Wie lebt man, indem man Menschen nahekommt in der Güte einer Wahrheit, die man von Gott aus dem Himmel auf die Erde holt? Dann darf man den Tod nicht fürchten, die Verleumdung nicht fürchten."

"Dann muss man sprechen dürfen, wie Jesus es am Ende der Seligpreisungen am Anfang der Bergpredigt tut. 'Wenn sie kommen und sagen alles Mögliche fälschlich über euch zur Verleumdung, jubelt an dem Tag! So hat man es mit den Propheten schon gemacht. Das bestätigt, dass ihr im Namen Gottes mit Menschen richtig umgeht. Das ist der Beweis für die Wahrheit eurer Lebensform. Das widerlegt euch nicht, es bestätigt euch.' Darauf hinaus will ich, dass Sie so nur leben können, wenn Sie ein Vertrauen haben, das den Tod selber widerlegt. Und daraus existierte Jesus. Und das ist, was er uns schenken wollte."(1)

Nachstehend wird ein sehr aussagekräftiger Abschnitt aus den Ausführungen Drewermanns über den Glauben an Auferstehung und die christliche Ewigkeitsvorstellung zitiert, der Interesse wecken und zu einer vertiefenden Auseinandersetzung mit den Inhalten der Vorlesung einladen soll.

"Woran glauben wir dann bei Fegefeuer? Hölle? Wir müssten glauben daran, dass wir in Rückerinnerung, wie wir gelebt haben - wenn wir sterbend unter die Augen Gottes treten, wenn die Endlichkeit dieses Daseins, wenn der Kerker der irdischen Existenz seine Tore öffnet, und wir hinaustreten in Gottes Ewigkeit - natürlich darüber nachdenken, wie wir uns noch einmal betrachten könnten. Das waren unsere Zwiegespräche mit denen, die uns vorangegangen sind, immer schon. Wie vieles gab es da, was wir so nicht hätten tun mögen? Wo wir wissen: Es war falsch, aber wir können es nicht mehr ändern."

"Und wir reifen in der Trauer, in der Reue über das, was wir waren und getan haben, hinweg zu einer neuen Form der Begegnung. Wenn wir dann den anderen wiedersehen, erleben wir ihn als selber ein Stück weiterentwickelt hineinreifend in der Liebe Jesu aufeinander zu und der andere hatte die Gelegenheit, genau das Gleiche zu tun. So betrachtet gibt es ein Fegefeuer: Ein Leiden an dem, was wir falsch gemacht haben, im Wissen, Gott zugehörig zu sein. Dann tut uns das, was falsch war, weh. Aber der Schmerz der Reue lässt uns reifen und in der Liebe immer weiter aufeinander zu wachsen."

"Und das müssten wir jetzt genauso anwenden in der Lehre von der Hölle. Es gibt sie überhaupt gar nicht. Was es denn gibt, ist ein Hineinreifen in die Unendlichkeit der Liebe Gottes; ein immer tieferes Verstehen aneinander und miteinander, was Paulus nennt im Galaterbrief: 'Wir sind doch nur Geschwister, Brüder und Schwestern.' Genau das erleben wir: Wir verstehen uns immer tiefer. Die alten Gründe, einander zu trennen, zu hassen, zu bekämpfen sind null und nichtig, reine Missverständnisse. Das überleben wir, indem wir es überlieben. Und das ist der ganze Umgang mit dem, was wir das Böse nennen."(2)

Quellen

(1) https://www.youtube.com/watch?v=oiJFyaFrqnY, ab 20:00. 

(2) https://www.youtube.com/watch?v=oiJFyaFrqnY, ab 1:13:00.