Die Zweiteilung in Gut und Böse sei ein Verbrechen, so EUGEN DREWERMANN in seiner Vorlesungsreihe zum Galater-Brief des Paulus

21/06/2025
Eugen Drewermann. Bild: https://www.kongress-heiligenfeld.de/referent-eugen-drewermann
Eugen Drewermann. Bild: https://www.kongress-heiligenfeld.de/referent-eugen-drewermann

Auf eine sehr bemerkenswerte und zutiefst ergreifende Art und Weise geht der erfahrene Theologe und Psychoanalytiker Dr. Eugen Drewermann in seiner Online-Vorlesungsreihe zum Galater-Brief des Paulus auf Kernaspekte in der Theologie Pauli ein, die für das Dasein eines jeden Menschen entscheidend sind und lässt dabei ein vielschichtiges und themenreiches Bildungsprogramm entstehen. Das Konzentrat lässt sich in die Formel gießen: Jeder Mensch ohne Gott ist ein Verzweifelter getrennt von einer absoluten, bedingungslosen Bejahung seiner selbst in Ewigkeit. Aufgrund dieser Trennung befinden sich alle Menschen  in "einer Daseinsform ohne jegliches Vertrauen, heimgesucht von der Angst, die aufsteigt in uns selber, wenn wir uns unserer Existenz bewusst werden angesichts der radikalen Kontingenz, mit der wir geprägt sind, weil es keine hinreichende Notwendigkeit gibt, aus der heraus wir sein sollten. Einzig eine Notwendigkeit in Freiheit, ein Wille, der möchte, das wir sind, kann dieses Kontingenzgefühl der Überflüssigkeit, der Nichtnotwendigkeit, der Beliebigkeit überwinden zu der Botschaft: 'Dich soll es geben, Dich muss es geben, weil ICH möchte, dass Du bist.' Darum dreht sich das gesamte Suchen des Menschen. Man hört und möchte wissen, dass es eine Stimme gibt, die uns versichert: 'Du bist nicht überflüssig, Du bist ir nicht egal, Dein Dasein bedeutet etwas unendlich Kostbares.' Das kann uns nur eine andere Person sagen, die absolut ist zu uns, die wir als Personen relativ sind", erläutert Eugen Drewermann die Diagnose und das Heilmittel.(1) Sowohl Jesus als auch Paulus, dem Jesus erschienen war (Drewermann deutet die Erscheinung tiefenpsychologisch, d.h. inwendig und existenziell), haben jene Stimme vernommen und wurden zu Vermittlern jener. 

Zentral in der Vorlesungsreihe ist die Auseinandersetzung mit dem Ursprung des Bösen. Alles, was wir böse nennen, entstehe laut Drewermann nie in Freiheit, sondern weil der Übeltäter ein Gefangener seiner Psychogenese und Psychodynamik ist und deswegen keine Verurteilung und Bestrafung verdient, sondern Heilung und Vergebung. Das Böse entspringt aus dem Zustand der Gottesferne. Beeindruckend ist auch die Relevanz der von Drewermann vorgestellten Erkenntnisse und Perspektiven für die politische Entwicklung der Gegenwart, sowohl innen- als auch außenpolitisch. Immer wieder knüpft er an gegenwärtige Ereignisse und Phänomene an. Es folgen als Kostprobe ein paar wenige Zitate, die das Interesse auf mehr wecken sollen.

"Was wir das Böse nennen, hat Ursachen, die wir nicht aburteilen können, sondern die wir heilen müssten. Das sogenannte Böse ist ein Signal von Menschen, die Dinge tun, die sie gar nicht tun wollen; getrieben von Mächten, über die sie gar keine Kontrolle haben, nicht weil sie verrückt wären, sondern weil die Psychodynamik die Freiheit, die behauptet wird, ihnen überhaupt nicht lässt", analysiert Drewermann und kommt zu dem Schluss, dass auf diese Weise die binäre Zweiteilung in gut und böse obsolet wird, da man erkennt, dass das Phänomen des Bösen an sich immer auf Strukturen im Hintergrund zurückzuführen ist und einzig durch Verstehen und Güte überwunden werden kann.(2) 

Der Theologe geht anhand des Stanford-Gefängnis-Experiments des US-amerikanischen Sozialpsychologen Philip Zimbardo durch, wie aus ganz "normalen" Bürgern Gewalttäter werden, wenn man sie experimentell in zwei Gruppen einteilt: die Guten (Gefängniswärter) und die Bösen (Gefängnisinsaßen). Die als die Guten definierten sehen sich schon bald legitimiert bereits wegen Lappalien bösartig und tätlich gegen die Bösen zu werden. Zimbardo habe mit seinem Experiment gezeigt, wie aus US-GIs im US-Gefängnis Abu Ghraib Verbrecher werden konnten. Damals, nach der Besetzung des Irak durch die Amerikaner ab 2003, wurden nämlich irakische Insaßen des Abu-Ghuraib-Gefängnisses vom Wachpersonal misshandelt, vergewaltigt und gefoltert, oft bis zum Tod.

 "Philip Zimbardo ging noch ein ganzes Stück weiter: So ist es wenn wir Gut und Böse aufeinander loslassen, ohne die Ursachen, die zum Guten oder zum Bösen führen könnten, zu beachten. Wir müssen uns jetzt mal vorstellen, dass unsere gesamte Politik, unsere gesamte Rechtsprechung auf genau dieser bipolaren Denkart basiert. Auch zwischen den Staaten gibt es gute Staaten und böse Staaten und natürlich sind wir - die westliche Welt - die Guten; und drüben - Chinesen, Russen - die Bösen. Was wird die Folge sein? 'Wir müssen uns bekämpfen!' Warum? 'Für die Gesetze, die wir haben, die menschlichen Gesetze, die Freiheit, die Demokratie müssen wir kämpfen, müssen wir Krieg führen.' Und wie viel hunderttausend Tote wird das kosten? 'Uns doch egal! Wir töten ja die Richtigen! Bei uns leider tötet nur der Russkij in der Ukraine, immer Krieg, ein Angriffskrieg, ein widerrechtlicher Krieg!' Und was haben wir auf dem Balkan gemacht? Ein paar hunderttausend Tote auf NATO-Kosten! Bombardement der Deutschen über Belgrad 1999. So können wir dranbleiben", analysiert Drewermann mit Bezug zum aktuellen und vergangenem Weltgeschehen.(3)
Philip Zimbardo habe sich erlaubt über die Verwandlung von US-amerikanischen GIs in Verbrecher im Rahmen der erwähnten Folteraffäre von Abu Ghraib ein neues Buch zu schreiben: 'Der Luzifer-Effekt. Die Macht der Umstände und die Psychologie des Bösen', "um zu sagen: wenn wir das Gute wollen auf eine völlig isolierte, erkenntnisfremde, vergebungsfeindliche Art - nur in der Definition des Rechthabens für sich selber -, werden wir unweigerlich politisch, militärisch, sozial zu Verbrechern. Es kann nicht anders kommen! Die Zweiteilung selbst ist das Verbrechen, sie tut Unrecht an den Menschen, die es wirklich gibt", führt Drewermann weiter aus und berührt damit natürlich auch den ganz aktuellen Krieg zwischen Israel, USA und dem Iran, weshalb seine Vorträge von nicht zu unterschätzender Bedeutung für die Gegenwart und Zukunft sind. (4)